Stuttgart war ganz Chor!

Juni 2016

Das Deutsche Chorfest vom 26.5.-29.5.2016 in Stuttgart, das alle vier Jahre an unterschiedlichen Orten vom Deutschen Chorverband organisiert wird, gehört nun schon wieder der Vergangenheit an. Die Auswertung und Nacharbeit dieses wunderbaren kulturellen Ereignisses wird auf den verschiedensten Ebenen aber bestimmt noch sehr viel Zeit und Gedankenarbeit in Anspruch nehmen.

400 in- und ausländische Chöre mit rund 15.000 Sängerinnen und Sänger, verteilt auf den verschiedensten Auftrittsorten der Stadt, bildeten die Basis dieses Festivals der Vokalmusik aller Stilrichtungen und begeisterten die Stuttgarter und ihre Gäste. Mittendrin der Männerchor Leipzig-Nord und so ist es auch für diesen ein echtes Bedürfnis über das Festival zu berichten, um auf dieser Ebene noch einmal die vielseitigen Erlebnisse Revue passieren zu lassen und gleichzeitig den ferngebliebenen Sangesfreunden in Leipzig und Sachsen ein wenig daran zu beteiligen.

Ausgangspunkt für die Anmeldung zum Chortreffen war die gemeinsame Überlegung von Vorstand und Chorleiter nicht nur schlechthin einen chorischen Höhepunkt für den Männerchor wieder einmal zu organisieren, sondern auch das gegenwärtig hohe sängerische Niveau einer breiten öffentlichen Kulisse anzubieten. Dass die Teilnahme an einem so außergewöhnlichen Festival auch eine körperliche Herausforderung sein werde, wurde dabei anfänglich allerdings etwas unterschätzt.

Nach langer organisatorischer Vorbereitung, die den Vorstand des Chores mehr als ein Jahr beschäftigte, sowie mit finanzieller Unterstützung des Kulturamtes der Stadt Leipzig und professioneller Hilfe durch die Donell Gruppenreisen GmbH aus Kaarst, fuhr dann schließlich der Bus pünktlich um 7 Uhr vom Hauptbahnhof in südwestlicher Richtung und war planmäßig um 14.00 Uhr in Stuttgart. Voll freudiger Erwartung harrten dann 28 Sänger, 18 begleitende Frauen und der Dirigent der Dinge, die da kommen sollten.

Allein schon in dieser lebhaft quirligen Stadt anzukommen, besonders für die Sänger, die erstmals mit der schwäbischen Hauptstadt in Kontakt kamen, war ein erstes großes Erlebnis. Der zentral gelegene, wunderbare Schlossplatz, gleichzeitig Zentrum des Festivals, war nicht nur während des diesjährigen Chorfestivals ein unübersehbares Menschenheer, sondern ist, so versicherten es alteingesessene Stuttgarter, jeden Sonnabend ein Platz überfüllt mit Menschen, die dort gemütlich und entspannt schlendern und ihre Freizeit genießen. Ständig wird dort irgendetwas gefeiert, so versicherten sie.

Die erste kurze Stippvisite am Freitagnachmittag bestätigte die Eindrücke von der unüberschaubaren Zahl der Menschen und den Vokalensembles verschiedener musikalischer Genres auf dem Schlossplatz. Besonders auf der Freilichtbühne wurde trotz ständiger Regengüsse eifrig für das große Beatle-Mitsingekonzert geprobt, was zwar nicht so den Geschmack der Sänger des Männerchores traf, aber es war ja auch kein Festival des Männerchorgesanges.

Chorbewegungen gab es aber nicht nur auf dem Schlossplatz, sondern überall in der Stadt, besonders im Raum vor den Auftrittsorten war ein vielstimmiges, lustiges und ausgelassenes Treiben zu vernehmen, womit wieder einmal die alte Sängerweisheit auf hohen Niveau bestätigt wurde, dass dort wo man singt, sich ruhig niederlassen kann.

Die Chorfest-Teilnehmer und –Besucher, das spürte man recht deutlich, hatten Lust auf Vokalmusik, das war überall zu spüren, denn das breite Programm, auf immerhin 240 Seiten Programmheft festgehalten, ermöglichte es dem Publikum, verschiedene Ensembles mit einer stilistischen Breite von Klassik, Romantik über Pop bis Jazz zu hören. Angesichts der vielen, an mindestens 13 Orten aufgeführten Kurzkonzerten, war es unmöglich auch nur annähernd den Überblick zu erhalten, wohl aber einen kleinen Einblick.

Genau das taten die Sänger des Männerchores und so war es auch sehr schön einmal bekannte Lieder unseres eigenen Repertoires von anderen Chören gesungen, in einer anderen Fassung zu hören. So sang in der Liederhalle der Cantemus-Chor aus Greifswald im Wettbewerb unser beliebtes „Hej igazitsad“ von Zoltan Kodaly und der Ernst Busch Chor aus Berlin erinnerte uns daran, dass wir vor langer Zeit auch einmal Georg Herweghs „Bundeslied“ sangen.

Ein Höhepunkt des Festivals war sicherlich das große Mitsingkonzert in der Liederhalle, wo hunderte, vorwiegend junge Sängerinnen und Sänger sich zu einem großen Chor formierten und gemeinsam Händels „Messiah“ zur Aufführung brachten. Insgesamt war in Stuttgart aufgefallen, dass viele junge Chöre teilnahmen und es eine große Anzahl von Mitsingekonzerten gab, die offenbar auch den Geschmack der Zuhörer, möglicherweise den Zeitgeist trafen.

So erlebten wir ein gefeiertes Mitsingekonzert eines jungen, gemischten Chores in der Vorhalle des Stuttgarter Hauptbahnhofs, das mit viel eifrigen „Mitgesang“ der umstehenden Zuhörer honoriert wurde.

Der anschließende Auftritt des Kammerchores der Uni Kassel konnte begeistern. Dieser junge Chor sang in einer Qualität, die es verdient hätte an anderen Ort aufzutreten, der weniger durch lästige Nebengeräusche des Bahnhofsgeschehens gestört wäre. Andererseits war der Klang des Chores so schön, dass es den Bahnhof eigentlich fast vergessen machte.

Für den Männerchor Leipzig-Nord wurde es dann aber auch ernst. Sein Beitrag zum Festival waren zwei etwa halbstündige Konzerte am Sonnabend und die Mitgestaltung eines Gottesdienstes am Sonntag. Wie immer bestens vorbereitet durch Chorleiter Detlef Schneider begann zunächst am Vormittag die Aufführung eines geistlichen Konzertes in der katholischen Hauptkirche Dom St.Eberhard. Mitten im Zentrum der Stadt gelegen, sangen hier die Männer u.a. Leo Hasslers „Cantate Domino“, Anton Bruckners „Locus Iste“ und das sehr anspruchsvolle „Requiem“ von Mathieu Neumann. Zahlreiche Besucher bekamen so Einblick in das Leistungsvermögen eines klassischen Männerchores, was auch mit herzlich anhaltendem Beifall bedacht wurde.

Ein kleiner Ausschnitt unseres weltlichen Liederrepertoires folgte dann am späten Nachmittag in der Lutherkirche Bad Cannstatt, einer Kirche, die zu den ersten aus Backstein erbauten Kirchen in Süddeutschland zählt. Werke wie „Der Feuerreiter“ von Mathieu Neumann, „Mutter Erde“ von Gerd Sorg und „Wachse Strauch“ von Willy Kehrer sollten dem Zuhörer auch Einblick gewähren, wie der Männerchor die zeitgenössische, nicht immer einfache Männerchorliteratur bewältigt.

Zwischen den beiden Auftritten war genügend Zeit für die Sänger sich individuell anderen Chören zu widmen, einmal Stimmen zu hören und Repertoires, Aufführungsarten kennenzulernen, die für uns eher ungewohnt sind.

Einen Höhepunkt ganz besonderer Art war dann am Sonntag die Teilnahme an einem Gottesdienst in der Erlöserkirche der evangelischen Nordgemeinde Stuttgarts. Mit den bekannten geistlichen Liedern wie „Cantate Domino“, „Locus Iste“ und „Heilig“ machte der Männerchor eine nicht alltägliche Erfahrung. Die Pastorin positionierte den Männerchor ganz bedacht in die beiden ersten Reihen, bezog ihn somit in den Gottesdienst der sangesfreudigen Gemeinde mit ein. Durch ihre sehr lebhafte, uns bewegende Predigt, die u.a. ausführlich die Bedeutung des Gesanges für den Gläubigen beinhaltete, sprach sie auch die Herzen der Sänger an, so dass der tiefe und breite Sinn des geistlichen Gesanges in einer ganz anderen Art und Weise erschlossen wurde. Dank und anerkennende Worte der Pastorin für die Begleitung des Gottesdienstes der kleinen Kirchgemeinde, verbunden mit einem zünftigen Umtrunk, schlossen dann den offiziellen Teil unserer Teilnahme am Stuttgarter Chorfestival ab.

Fazit

Die Organisation des Festivals war sehr gut. Stuttgart war ein toller Gastgeber. Die allgemeine Stimmung vorzüglich und die vielfältigen Chorstimmen ausgezeichnet. Die Teilnahme am Chorfestival 2016 hat sich für den Männerchor Leipzig-Nord in jeder Hinsicht gelohnt, ein schönes Erlebnis.

Stuttgart bot eine hervorragende Möglichkeit, die ganze Breite und Vielfalt der gegenwärtigen Chorszenerie zu erleben, die mehr als hoffnungsvoll stimmt. Nicht der klassische Männer- oder Frauenchorgesang stand dabei im Vordergrund, sondern vor allem junge Chöre, tolle Stimmen, geführt von bestens ausgebildeten und motivierten Chorleitern, mit einem breiten musikalische Spektrum, begleitet auch von körperlichen, die Musik begleitenden Einsatz, also viel Bewegung in den Reihen der Sänger.

Vor allem aber war es eine einzigartige Gelegenheit auch in musikalischer Hinsicht über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen, viel weiter, und das ist wesentlich, als es bei vergleichbaren regionalen Veranstaltungen der Fall ist. Das betrifft aber nicht nur die Sänger, sondern zugleich die Chorleiter, die wie auf einer breiten Palette ein breites, vielfältiges, manchmal verblüffendes Angebot bezüglich sowohl des Repertoires als auch der Interpretation des eigenen Genres erhielten. Für alle Beteiligten, ob nun Sänger oder Chorleiter war es beim Besuch der Veranstaltungen oftmals ein echtes Aha-Erlebnis. Vor allem die Qualität der Chöre, ob nun Frauen-, Männer- oder Gemischter Chor, es war ein tolles Erlebnis und am schönsten war, dass der Männerchor Leipzig Nord ein Teil davon war und auch mit Lob nicht zu knapp bedacht wurde.

Unverständlich bleibt aber, dass aus Sachsen insgesamt nur zwei Chöre an dem Festival teilnahmen.

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